Führerlose Boote in Venedig

ein Protest gegen einen rassistischen Übergriff

Am 14. November 2020 habe ich morgens mit Aufnahmen für meine High Noon Serie in Venedig begonnen. In der Fondamenta Garzotti wurde ich gegen 11:30 Uhr Zeuge eines erschütternden Vorfalls, der Auslöser für die Idee war die Bootsführer aus den Aufnahmen heraus zu löschen. 

Ich stand an besagtem Kanal, um gegenüber eine Szene mit einem gelben Werbeschild eines Hotels an der Calle Contarina zu fotografieren. Ich hatte mein Stativ aufgebaut und war fokussiert auf das Einstellen meiner Kamera. Zu diesem Zeitpunkt war ich bestimmt 20 Minuten lang niemandem begegnet und ich wähnte mich daher alleine.

Das änderte sich erst als ich irgendwann gleichzeitig, hinter mir, leise Bootsgeräusche hörte und gleichzeitig immer lauter werdende Affenlaute. Ich drehte mich um und sah folgende Szene:

Etwa 15 Meter hinter mir stand ein, ganz in schwarz gekleideter, auf mich ungepflegt wirkender Mann zwischen fünfzig und sechzig. Während im Kanal ein Lastenboot, gesteuert von einer Person of Color, an ihm vorbei fuhr machte er laute Affenlaute.

Das erschreckende war nicht nur der Vorfall an sich – es war der ungezügelte Hass , dem der Bootsführer ausgesetzt war – denn die Affenlaute verstummten erst nach Minuten. Erst als das Boot kaum mehr zu hören war und schließlich auch nicht mehr zu sehen.

Ich war wie paralysiert – das einzige wozu ich in der Situation im Stande gewesen bin, war dem Täter ein lautes „Faschist“ und eine Scheibenwischer Geste zu entgegnen. Mit der Distanz stellt sich mir heute die Frage, was ist diesem bemitleidenswerten Menschen wohl im Leben widerfahren, dass er versucht das eigenene Dasein durch die Erniedrigung eines anderen Menschen aufzuwerten?

Wenn Menschen SICH zum Affen machen
Dummheit, die übergriffig wird, die ihr Antlitz im Unmenschlichen zeigt, muss man begegnen. Ich tue dies mit meinen Möglichkeiten. Es ist der Versuch, trotz der Schwere und Ernsthaftigkeit des Ereignisses, meine Solidarität mit dem Angegriffenen, nicht zuletzt mit einem Augenzwinkern und einer gewissen Ironie zu bekunden. Ein stiller Protest, der hoffentlich sehr laut wird.

Aus diesem verstörenden Erlebnis ist die Idee entstanden, Aufnahmen von Booten in den Kanälen Venedigs zu machen und aus der Haltung eines künstlerischen Protestes, die jeweiligen Bootsführer aus den Bildern zu entfernen.

Wenn eine Person of Color nicht ohne angegriffen, verletzt oder beleidigt zu werden mit dem Boot durch Venedig fahren kann, dann soll es in meinen Bildern keiner tun!

Eines der Bilder der Serie möchte ich in Venedig versteigern. Sollte das Opfer ermittelt werden können, soll er die Einnahmen daraus erhalten, falls nicht soll das Geld an einen Verein zur Prävention von Rassismus und Gewalt in Venetien fließen.

Julian Kirschler

Zur Bildgalerie